Die Nachricht vom Schulpsychologen sitzt noch im Ohr: Ihr Kind würde von einer Schulbegleitung profitieren. Sie nicken zustimmend, freuen sich vielleicht sogar, dass es einen Namen für das gibt, was Sie schon lange wissen. Doch dann kommt die Frage: Wie beantragt man eigentlich eine Schulbegleitung?
Was folgt, ist ein Behördendschungel, den viele Eltern als überwältigend empfinden. Aber es geht. In diesem Artikel führe ich Sie Schritt für Schritt durch den gesamten Prozess – damit Sie genau wissen, was zu tun ist.

Der erste Schritt: Die richtige Diagnose
Bevor Sie überhaupt einen Antrag stellen können, brauchen Sie ein ärztliches Gutachten. Das ist nicht optional – das Jugendamt oder Sozialamt wird es verlangen. Ohne Gutachten geht gar nichts.
Das Gutachten sollte von einem Facharzt, Kinderarzt, Psychologen oder einer Klinik ausgestellt werden. Wichtig ist, dass der Arzt nicht nur die Diagnose stellt, sondern auch klar macht, welche Auswirkungen die Behinderung auf den Schulalltag hat. Ein Satz wie „Der Patient hat ADHS“ reicht nicht. Es sollte heißen: „Aufgrund der ADHS-Symptomatik ist der Patient nicht in der Lage, ohne externe Struktur und Unterstützung am regulären Schulunterricht teilzunehmen.“
Das Gutachten sollte nicht älter als 6 Monate sein, wenn Sie es einreichen. Ältere Gutachten werden oft nicht akzeptiert.
Kosten für das Gutachten: Die Kosten für ärztliche Gutachten werden oft von der Krankenkasse übernommen, wenn der Arzt einen entsprechenden Antrag stellt. Fragen Sie in der Praxis danach.
Schritt zwei: Die Stellungnahme der Schule
Parallel zum Gutachten brauchen Sie eine schriftliche Stellungnahme der Schule. Das kann der Schulleiter, der Klassenlehrer oder der Sonderpädagoge ausstellen.
Diese Stellungnahme ist entscheidend. Sie sollte konkret beschreiben:
- Warum der Schüler Unterstützung braucht: Was genau läuft im Schulalltag schief ohne Begleitung?
- Welche konkreten Aufgaben: Welche Unterstützung könnte eine Schulbegleitung konkret leisten?
- Stundenumfang: Wie viele Stunden pro Woche werden benötigt? (z.B. 25 Stunden pro Woche)
- Art der Begleitung: Soll es 1:1 sein, oder könnte auch ein Poolmodell funktionieren?
Ein gutes Beispiel: „Der Schüler kann ohne externe Unterstützung nicht zwischen den Unterrichtsfächern wechseln, verliert den Überblick über seine Aufgaben und wird schnell überfordert. Eine spezialisierte Schulbegleitung könnte ihm beim Organisieren, beim Fokussieren auf die Aufgaben und beim sozialen Kontakt zu Mitschülern helfen. Wir schätzen den Bedarf auf 25 Stunden pro Woche.“
Tipp: Sprechen Sie vorher mit der Schule! Die beste Stellungnahme entsteht, wenn Sie und die Schule gemeinsam beschreiben, was Sie sehen.
Schritt drei: Das zuständige Amt herausfinden
Das ist die Frage, die viele Eltern verwirrt: Jugendamt oder Sozialamt?
Die Antwort ist fast immer klar:
Jugendamt ist zuständig bei:
- Psychischen Erkrankungen
- Seelischen Behinderungen
- Emotionalen und sozialen Auffälligkeiten
- ADHS und Autismus (meist Jugendamt, aber im Zweifelsfall fragen)
Sozialamt ist zuständig bei:
- Körperlichen Beeinträchtigungen
- Geistigen Behinderungen
- Chronischen körperlichen Erkrankungen
Im Zweifelsfall: Rufen Sie einfach beide an und fragen, welches Amt für Ihre spezifische Situation zuständig ist. Sie werden Sie weitergeleitet, wenn nötig.
Schritt vier: Den Antrag einreichen
Jetzt wird es konkret. Sie müssen einen schriftlichen Antrag auf Eingliederungshilfe beim zuständigen Amt stellen.
Der Antrag kann formlos sein – ein Brief reicht völlig aus. Er sollte enthalten:
Persönliche Daten:
- Name und Geburtsdatum des Kindes
- Name und Kontaktdaten der Eltern
- Adresse
Der Antrag:
- Kurze Beschreibung der Situation: „Wir beantragen Schulbegleitung für unseren Sohn/unsere Tochter“
- Verweis auf die beigefügten Unterlagen
Beigefügte Unterlagen:
- Das ärztliche Gutachten (Original oder beglaubigte Kopie)
- Die Stellungnahme der Schule
- Optional: Ein Anschreiben, in dem Sie erklären, warum die Schulbegleitung nötig ist
Wichtig: Schicken Sie die Unterlagen per Einschreiben mit Rückschein oder geben Sie sie persönlich ab. Sie brauchen einen Nachweis, dass der Antrag eingegangen ist.
Schritt fünf: Warten auf die Bedarfsprüfung
Nach Eingang des Antrags prüft das Amt die Unterlagen. Das dauert üblicherweise 2-4 Wochen. Das Amt wird überprüfen:
- Liegt tatsächlich eine Behinderung vor?
- Ist Schulbegleitung wirklich notwendig?
- Wie viele Stunden werden realistischerweise benötigt?
Manchmal folgt ein persönliches Gespräch oder sogar eine Hausvisitation. Das ist normal – das Amt möchte das Kind und die Situation kennenlernen.
Mein Tipp: Bereiten Sie sich auf ein solches Gespräch vor. Schreiben Sie auf, was Sie beobachtet haben, wo das Kind Unterstützung braucht, was ohne Schulbegleitung anders laufen würde. Sagen Sie konkret, nicht abstrakt.
Schritt sechs: Die Entscheidung kommt
Nach durchschnittlich 4-8 Wochen erhalten Sie einen Bescheid vom Amt. Der Bescheid sagt Ihnen:
- Ja oder Nein: Wird Schulbegleitung bewilligt oder abgelehnt?
- Stundenumfang: Wie viele Stunden pro Woche? (z.B. 20, 25, 30 Stunden)
- Zeitraum: Für wie lange ist die Bewilligung gültig? (meist 1 Jahr)
- Träger: Welche Organisation wird die Schulbegleitung stellen? (falls bereits entschieden)

Was tun bei einer Ablehnung?
Ein Bescheid kommt rein. Sie lesen ihn. Ablehnung. Das ist nicht das Ende.
Sie haben 4 Wochen Zeit, Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch kann auch formlos sein – ein Brief an das Amt, in dem Sie begründen, warum Sie nicht d’accord sind.
Gute Gründe für einen Widerspruch:
- Das Amt hat die Gutachten nicht richtig berücksichtigt
- Die Auswirkungen auf den Schulalltag wurden unterschätzt
- Neue Informationen sind verfügbar (z.B. ein weiteres Gutachten)
- Die Stellungnahme der Schule wurde nicht beachtet
Nach dem Widerspruch folgt eine zweite Überprüfung. Manchmal wird dann doch bewilligt. Manchmal nicht. In diesem Fall können Sie sich rechtliche Hilfe holen – Verbände für Menschen mit Behinderung bieten oft kostenlose Rechtsberatung an.
Der Träger: Wer stellt die Schulbegleitung?
Sobald die Schulbegleitung bewilligt ist, muss ein Träger gefunden werden. Das ist eine anerkannte Organisation, die Schulbegleiter anstellt und koordiniert.
Es gibt verschiedene Träger: Caritas, Diakonie, Lebenshilfe, private Träger und andere. Das Amt teilt Ihnen mit, welcher Träger in Ihrer Region zuständig ist – oder Sie können einen Träger wählen, wenn mehrere zur Verfügung stehen.
Der Träger wird sich dann bei Ihnen melden und einen Schulbegleiter stellen. Im besten Fall passt dieser sehr gut zu Ihrem Kind. Im weniger guten Fall braucht es vielleicht einen Wechsel. Aber dazu später mehr.
Nach der Bewilligung: Der Start
Der erste Tag mit Schulbegleitung ist oft emotional. Ihr Kind merkt vielleicht, dass eine neue Person im Klassenzimmer sitzt und „nur für mich“ da ist. Das kann sich komisch anfühlen – für das Kind, für Sie, für die Lehrkraft, für die anderen Schüler.
Das ist normal. Es braucht Zeit, sich einzugewöhnen. Meist zwei bis vier Wochen, bis alles einen Rhythmus findet.
Was jetzt wichtig ist:
- Regelmäßiger Austausch mit der Schulbegleitung
- Austausch mit der Schule, wie es läuft
- Beobachtung: Hilft die Schulbegleitung wirklich?
- Geduld: Der Anfang ist immer chaotisch
Die erste Überprüfung: Nach 3 Monaten
Nach etwa 3 Monaten sollten Sie ein erstes Fazit ziehen. Funktioniert es? Oder läuft etwas schief?
Das ist der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch mit der Schulbegleitung und der Schule. Wie läuft es wirklich? Was funktioniert? Was nicht?
Wenn es gut läuft: Prima, weiter so! Wenn nicht, gibt es Optionen – aber mehr dazu in einem anderen Artikel.

Zusammenfassung: Der komplette Prozess
- Ärztliches Gutachten (1-2 Wochen Bearbeitungszeit)
- Schulstellungnahme (parallel)
- Zuständiges Amt klären (per Telefon)
- Antrag einreichen (schriftlich mit Dokumenten)
- Bedarfsprüfung des Amtes (2-4 Wochen)
- Entscheidung erhalten (nach 4-8 Wochen insgesamt)
- Träger kontaktiert Sie (nach Bewilligung)
- Schulbegleiter startet (zeitnah nach Bekanntgabe)
Gesamtdauer: 6-12 Wochen vom ersten Gespräch mit dem Arzt bis zum Start der Schulbegleitung.
Praktische Tipps für den Erfolg
Dokumentieren Sie alles. Behalten Sie alle E-Mails, Briefe und Gutachten. Sie brauchen sie für den Fall, dass es Fragen gibt.
Seien Sie konkret. Nicht „mein Kind hat Probleme in der Schule“, sondern „mein Kind kann sich nicht fokussieren, verliert seine Unterlagen, hat Konflikte mit Mitschülern“.
Kommunizieren Sie proaktiv. Rufen Sie das Amt an, wenn Sie wissen möchten, wie es läuft. Die Ämter sind nicht böse – sie sind nur überarbeitet.
Holen Sie sich Unterstützung. Verbände, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen kennen den Prozess und können helfen.
Geben Sie nicht auf. Eine Ablehnung ist nicht das Ende. Viele Eltern bekommen Schulbegleitung beim Widerspruch bewilligt.
Die Beantragung einer Schulbegleitung ist ein Prozess. Er kann frustrierend sein. Aber am Ende steht ein Kind, das die Unterstützung bekommt, die es braucht – um in der Schule nicht nur teilzunehmen, sondern wirklich dabei zu sein.
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